Von Fake News und Online-Polarisierung bis hin zu Cyber-Angriffen auf Wahlen und dem Aufstieg des digitalen Autoritarismus - die Spannungen zwischen Technologie und Demokratie sind vielfältig, aber sie bleiben nicht unbeantwortet. Doch wer entwickelt Wege, um Technologien zur Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements und der Demokratie zu nutzen? Wer stellt die Taktiken der Informationskriegsführung in Frage? Und wer hilft uns, die Auswirkungen der Technologie auf die Demokratie besser zu verstehen?
Die Studie von FASresearch aus dem Jahr 2020 liefert netzwerkanalytische Antworten auf diese Fragen. Das Resultat war eine Landkarte der sehr unterschiedlichen Organisationen, die an der Schnittstelle von Demokratie und Technologie arbeiten.
Was wollten wir wissen?
150 Expert:inneninterviews wurden im Frühjahr 2020 durchgeführt. Diese Expert:innen und Aktivist:innen wurden gebeten, Organisationen zu empfehlen, die im Bereich Technologie und Demokratie arbeiten. “Was muss getan werden, um den schädlichen Auswirkungen der Technologie auf die Demokratie entgegenzuwirken und wie wie kann das technologische Potenzial zur Förderung der Demokratie genutzt werden?“ waren die Kernfragen unserer Studie.
Wer befasst sich mit Technologie UND Demokratie - sieben Identitäten zivilgesellschaftlicher Akteure
Das Ergebnis war eine Netzwerkkarte mit 603 Organisationen in 56 verschiedenen Ländern, von denen zwei Drittel in Europa ansässig sind, dem geografischen Schwerpunkt der Studie. Die Interviews ermöglichten es uns, das Feld anhand von sieben verschiedenen "Identitäten" zu verstehen:
a) Aktivist:in für digitale Rechte: setzt sich für die Verteidigung der Menschenrechte im Internet ein, wobei der Schwerpunkt auf dem Recht auf freie Meinungsäußerung und dem Schutz der Privatsphäre liegt. Die am häufigsten genannten Organisationen in dieser Kategorie sind European Digital Rights (EDRi) und Noyb
b) Demokratie-Aktivist:in: beschäftigt sich mit Mobilisierung, z.B. Aufstehn.at oder Transparency International
c) Journalist:in & Fact-Checker: geht gegen Desinformation und Fake News vor, wichtige Akteure sind Evgeny Morozov und Internews
d) Civic Tech Reformer: entwickelt und setzt Technologien für Transparenz und Partizipation ein, besonders empfohlen wurden mySociety und die ePanstwo Foundation
e) Open & Commons-Aktivist:in: setzt sich für die Verbesserung des digital ermöglichten Austauschs und der Zusammenarbeit ein, z. B. die Open Knowledge Foundation und das Centrum Cyfrowe
f) Friedensstifter:in: transformiert Konflikte und wirkt Online-Polarisierung und Hassreden entgegen, wie es die Organisationen Build Up und Moonshot CVE tun
g) Community Artist: arbeitet mit (digitaler) Kunst, um die technologischen Auswirkungen auf die Gesellschaft zu kritisieren und Alternativen aufzuzeigen, zum Beispiel MAK oder Adam Harvey
Eine fragmentierte Zivilgesellschaft
Diese sieben Identitäten sind entweder in Clustern eng miteinander verbunden, wie das beispielsweise bei den Digital Rights Aktivist*innen oder den Civic Tech Reformern festgestellt werden kann, oder sie sind über das Netzwerk verstreut, was insbesondere bei den Journalisten und Fact-Checkern, aber auch bei Open und Commons Aktivist*innen der Fall ist. Das Clustern und Streuen könnten ihrerseits auf eine Fragmentierung der Zivilgesellschaft in Bezug auf die Themen Technologie und Demokratie hinweisen. Obwohl diese Organisationen an ähnlichen Herausforderungen arbeiten, haben sie unterschiedliche Visionen und Ansätze und koordinieren sich nicht ausreichend mit Organisationen jenseits ihrer eigenen Identität. Auf die Frage, wie der philanthropische Sektor die zivilgesellschaftliche Arbeit bestmöglich unterstützen könnte, nannten die Befragten häufig die Notwendigkeit, den Austausch und die Zusammenarbeit durch die Schaffung neuer Netzwerke, Allianzen und Plattformen zu verbessern.
Wie "das Gute" der Technologie nutzen und “das Schlechte” abwehren?
Der Fokus – das Potenzial der Technologie nutzen und ihre schädlichen Auswirkungen auf die Demokratie zurückdrängen – lag für die Befragten im Bereich der Politik: „Big Tech“ regulieren und besteuern, Datenschutz stärken und Möglichkeiten zur Verschlüsselung und Anonymisierung verbessern.
Die Mitgestaltung und Verbreitung partizipativer digitaler Plattformen als neue demokratische Praxis wurde jedoch am häufigsten als Möglichkeit für die Veränderung der technologischen Infrastruktur, die wir alle nutzen und in der wir uns bewegen, genannt. Ähnlich grundlegende Veränderungen wurden angesprochen, als die Befragten die Demonopolisierung der großen Tech-Unternehmen und die Entwicklung einer alternativen digitalen Wirtschaft mit einem anderen Geschäftsmodell forderten.
Schließlich werden Bildungsaktivitäten wie die Vermittlung eines verantwortungsvollen Umgangs mit dem Internet, von Digital- und Medienkompetenz sowie von kritischem Denken als wirksame Maßnahmen zur Abwehr jener Bedrohungen für den demokratischen Diskurs angesehen, die mit dem digitalen Zeitalter verstärkt auftreten.
Haben die Aktivitäten aber die gewünschte Wirkung?
Diese derzeitigen Aktivitäten der Zivilgesellschaft scheinen noch nicht die gewünschte Wirkung zu zeigen. Deshalb hat FASresearch die verschiedenen Identitäten in einem Situation Room, unserem softwareunterstützten Workshop-Format zur Entwicklung von gemeinsamen Lagebildern, zusammengebracht und gefragt, was denn getan werden muss, um ihre Arbeit zu stärken. Die TeilnehmerInnen identifizierten mehrere Hebelpunkte:
- Die Entwicklung langfristiger Konzepte zur Kontextualisierung der kurzfristigen Arbeit
- Den Aufbau übergreifender Netzwerke und Koalitionen
- Den Brückenschlag zu anderen Bereichen der Zivilgesellschaft, um sie als Partner zu gewinnen
- Die Vermeidung von Duplizierungen
- Den Raum für Kreativität finden
Koordination und „echte“ Technologie als Schlüssel
Die unzureichende Koordination ist ein Problem, wenn es um den Erfolg und den Einfluss der Zivilgesellschaft auf demokratische und technologische Transformation geht. Als wichtigstes und wünschenswertes Ergebnis der zivilgesellschaftlichen Aktivität nannten die Teilnehmer*innen nämlich die Entwicklung, Bereitstellung und Nutzung "echter Technologie", d.h. Technologien, die nicht auf Extraktion von Aufmerksamkeit und Polarisierung ausgerichtet sind, gleichzeitig aber mit den Produkten von Big Tech konkurrieren können. Auch wenn noch viel zu tun bleibt, gibt es doch ein großes gemeinsames Ziel, das die sieben Identitäten eint.
Für weitere Informationen können Sie unser Poster mit der Netzwerkkarte kostenlos herunterladen oder unser Webinar (das im Januar 2021 stattfand) hier ansehen: https://www.fas.at/news/beitrag/what-is-the-future-of-democracy-in-the-digital-age